Ganz aktuell hat ein Brandbrief des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein (HVSH) die Situation der Geburtshilfe im Land erneut in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Der offene Brief an den Ministerpräsidenten und die Landtags-Parteivorsitzenden sei „als Hilferuf zu verstehen, denn der Hebammenverband ist zutiefst besorgt über die Situation der Geburtshilfe in unserem Land“, schreibt die Vorsitzende Anke Bertram.
Auch auf Sylt wird das Thema regelmäßig neu befeuert: So gab es etwa im vergangenen Sommer, angestoßen durch eine spontane Geburt auf dem Seenotrettungskreuzer, mehrere deshalb initiierte Demos, auf denen der Ruf nach einer verbesserten insularen Geburtshilfe laut wurde. Was die Frage aufwirft, wie denn aktuell die Lage für Schwangere auf Sylt aussieht.
Zwei Wochen ins Boarding
Das nunmehr gängige Prozedere für werdende Mütter ist, sich zwei Wochen vor dem geplanten Geburtstermin auf das Festland nahe der gewählten Klinik zu begeben. „Um geburtshilfliche Notfälle auf den Inseln gar nicht erst entstehen zu lassen, hat der Kreis Nordfriesland zusätzlich in Zusammenarbeit mit dem Land Schleswig-Holstein und dem Verband der Ersatzkassen die Möglichkeit der vorgeburtlichen Unterbringung (Boarding) in den Kliniken Flensburg, Heide und Husum geschaffen“, erklärt der Pressesprecher des Kreises Nordfriesland, Hans-Martin Slopianka, in einem Brief.
Wenn während der Schwangerschaft alles glattläuft, scheint das eine machbare Lösung zu sein. „Der dabei entstehenden Unannehmlichkeiten für die Sylter Familien sind sich alle Beteiligten bewusst“, betont Slopianka. „Dennoch ist und bleibt dies die sicherste und damit die einzig empfehlenswerte Möglichkeit zur klinischen Geburt.“ Aber es geschieht eben auch Unvorhergesehenes.
Nicht ohne Risiko
Markus Gieppner, den das Thema als Gemeindevertreter und Vorsitzender der Wählergemeinschaft „Die Insulaner“ schon vielfach beschäftigte, gibt zu bedenken: „Eine solche Geburt auf dem Rettungskreuzer etwa, das hört sich vielleicht romantisch an, und es ging ja auch gut. Aber tatsächlich ist es doch eine Notfallsituation, die so nicht stattfinden sollte.“ Anders ausgehen können hätte es auch für Monika Löffler, Mutter einer knapp vier Monate alten Tochter. „Ich war aufgrund der Beckenlage meines Kindes eigentlich schon eine Risiko-Schwangere. Als dann beim Kaiserschnitt in Husum noch festgestellt worden war, dass sich die Nabelschnur um den Hals meiner Tochter gewickelt hatte, wurde mir erst richtig bewusst, was uns alles bei einer verfrühten Geburt hätte passieren können.“
Was wäre wenn?
Welche Ängste dies für die Mütter samt Familie bedeutet, weiß auch Anke Bertram, selbst langjährige Hebamme. „Auf Sylt schwanger zu sein, ist eine Herausforderung. Hier sind die Frauen einem ganz anderen Stresslevel ausgesetzt.“ Nicht wenige hätten ihr berichtet, erst in den zwei Wochen des planmäßigen Festlandsaufenthaltes vor der Geburt wieder ruhig geschlafen zu haben. Denn bis dahin müsse man mit zu vielen offenen Fragen leben. Was passiert im Notfall?
Monika Löffler war nicht unbedingt ängstlich, empfand diesen Stress allerdings immer unterbewusst, wenn sie sich von ihrer Hebamme und Ärztin auch gut betreut fühlte. Als ein paar Monate vor ihrem Geburtstermin der Hebammen-Notruf eingestellt wurde, war dies aber sogar Anlass für sie, sich selbst um Ersatz zu bemühen. „Am schlimmsten war es, stets vertröstet zu werden. Die Kommunikation bezüglich der Wiederaufnahme des Notdienstes wirkte doch eher beiläufig.“
Keine solide Sicherheit
Die Möglichkeit eines Boarding-Aufenthaltes vor der Geburt findet die junge Mutter zwar grundsätzlich gut und sie sei auch damit zurechtgekommen. „Man ist ja nicht anspruchsvoll, aber die Qualität der Unterbringung ist für Schwangere nicht unbedingt adäquat.“ Und das Grundproblem, wie mit spontanen oder riskanten Geburten auf der Insel umgegangen werden kann, sei damit nicht gelöst.
Rettungswagen, seit Januar wieder der Hebammen-Notdienst und sogar Hubschrauber könnten natürlich angefordert werden, aber „diese Sicherheit, die den Frauen damit vermittelt wird, ist einfach noch nicht transparent genug“, bemängelt Anke Bertram. Auf der einen Seite besteht die Abhängigkeit von Zug, Fähre und Wetter, auf der anderen die Unklarheit der verschiedenen Abläufe. Wer hilft und entscheidet was unter welchen Umständen?
Verband fordert Umdenken
Um Klarheit in die jetzige Situation auf Sylt zu bringen, ist nach Ansicht von Anke Bertram eines wichtig: miteinander zu reden. Was zu selten geschehe. „Es sollten sich alle Protagonisten der Geburtshilfe – Hebammen, Rettungsdienste, Ärzte, Verwaltungsfachleute etc. – wieder einmal in gemeinsamer Gesprächsrunde austauschen und Lösungen erarbeiten.“
Hinzu kommt, dass sich auf dem Festland hinsichtlich der Geburtsstationen eine ebenfalls gar nicht rosige Lage abzeichnet, wie sie in ihrem offenen Brief klar anprangert. So pocht der Verband unter anderem auf eine Förderung der physiologischen Geburten, eine wohnortnahe Eins-Zu-Eins-Betreuung und eine Änderung der Vergütung. Drohende Schließungen von Geburtsstationen, Personalrückgang, völlig überlastete Hebammen – diese Tendenz habe schon vor Corona bestanden, durch die Pandemie wurden die Schwierigkeiten nur noch verschärft. Hebammen würden oft über zu wenig Zeit für eine angemessene Betreuung klagen.
Hebammen leisten viel
„Ein wenig Hoffnung macht mir der neue Koalitionsvertrag der Regierung, der mehr Gelder für die Geburtshilfe vorsieht.“ Wobei die Vorsitzende des HVSH nicht mit einer Wiedereröffnung der Sylter Geburtsstation rechnet. Genauso sind die Bestrebungen der „Insulaner“, stattdessen ein Geburtshaus einzurichten, nach eingehender Betreibersuche für Markus Gieppner vom Tisch. Er bricht für die Hebammen eine Lanze: „In Bezug zu ihrer immensen Verantwortung sind die Hebammen gnadenlos unterbezahlt. Dieser Job lebt zurzeit allein von unfassbarer Leidenschaft.“ In den Geburtshelferinnen finden werdende Mütter auf Sylt immer noch verlässliche Ansprechpartnerinnen, was auch Monika Löffler aus eigener Erfahrung bestätigt.
Notruf nicht missbrauchen
Allerdings verdeutlicht der Kreis Nordfriesland in Bezug auf den Hebammen-Notruf: Er solle ausschließlich für Notfälle im Zusammenhang mit einer Geburt oder Schwangerschaft eingeschaltet werden. Keinesfalls diene er dazu, einen gewünschten Geburtsort quasi zu erzwingen. In jedem Fall werde eine Verlegung in eine Klinik auf dem Festland – wenn nach medizinischer Einschätzung machbar – vor wie auch nach der Geburt veranlasst.