Mein etwas anderer Start in die Adler-Expedition
Als ich mich am Mittwoch, 12. August 2020, auf den Weg in Richtung List gemacht habe, war eine Jacke das letzte, das ich hätte tragen wollen. Schon um sieben Uhr morgens war es hochsommerlich warm, als ich mit meiner Kamera auf die Ankunft der MS Quest in List wartete. Eigentlich begann die Nordsee-Expedition der Reederei Adler-Schiffe bereits drei Tage vorher in Hamburg. Für mich als Sylter wurde aber eine Ausnahme gemacht, und ich durfte auf Sylt zu- und wieder absteigen.
Das Schiff: Die MS Quest
Da ich schon zuvor auf der ersten Probefahrt dabei sein durfte, war mir das Luxus-Expeditionsschiff bereits bestens bekannt. Auf knapp 50 Metern Länge und elf Metern Breite beherbergt es insgesamt 26 Außenkabinen und Suiten für maximal 50 Passagiere sowie ein Bordrestaurant unter Deck und eine Panoramalounge mit Bar und einzigartiger Weitsicht über dem Brückendeck. Die Kabinen sind erwartungsgemäß klein, aber überaus bequem und mit eigenen Duschbädern ausgestattet.
Der Unterschied zwischen Expedition und Kreuzfahrt
Unterhaltungsangebote wie Showbühnen oder Wellnessbereiche sucht man vergebens – sind bei einer Expeditionsfahrt aber auch nicht nötig, erklärt Expeditionsleiter Christian Kruse: „Wir sind sehr viel in der Natur unterwegs, das macht den Unterschied zu einer Kreuzfahrt aus.“ Seetage gibt es auf der fünftägigen Tour durchs Schleswig-Holsteinische Wattenmeer keinen einzigen, dafür jede Menge zu erleben und entdecken. Selbst mir als Sylter wird meine Heimat und ihre Natur noch einmal ganz neu vor Augen geführt. Bis ich das Schiff fünf Tage später verlasse, werde ich mich noch einmal ganz aufs Neue in mein Zuhause an der Nordfriesischen Küste verliebt haben.
Wie die Wattenmeer-Expedition zustande kam
Dank seiner nahezu höchsten Eisklasse kann sich das umgebaute Linienschiff mühelos durch das Packeis vor Spitzbergen brechen. Dort wäre es eigentlich auch in diesem Jahr wieder mit rund 50 Passagieren auf Polarexpedition unterwegs gewesen, doch Corona hat diesen Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf der Suche nach einer Alternative wandte sich Kruse an Sven Paulsen von der Reederei Adler Schiffe. Nur zwei Wochen später startete die erste Probefahrt durch die Nordsee. „Ich habe selten einen so entscheidungsfreudigen Menschen kennenlernen dürfen“, erzählt mir der Expeditionsleiter.
Sven Paulsen schien auf einen Anruf wie diesen schon lange gewartet zu haben. „Mit dieser Expedition erfülle ich mir einen langgehegten Wunschtraum“, gesteht der Reeder. In diesem Zusammenhang hatte Corona für ihn auch etwas Gutes, wäre die Kooperation doch sonst vielleicht nie zustande gekommen. Zwei Wochen – andere schaffen es in diesem Zeitraum nicht einmal, ihren eigenen Urlaub zu planen. Paulsen und Kruse müssen unglaublich viel Arbeit und eine gehörige Portion Mut investiert haben, um in dieser Zeit ein solches, vollkommen neues Urlaubsangebot auf die Beine zu stellen.
Der Start in Hamburg
Dieses startet in Hamburg gleich mit einem Highlight: „Eigentlich ist es Kreuzfahrtschiffen nicht erlaubt, eine Hafenrundfahrt anzubieten”, erklärt der Expeditionsleiter. Die MS Quest jedoch ist klein genug, dass die Hafenbehörde ein Auge zudrückt und es den neu hinzugestiegenen Gästen ermöglicht, mit ihrem Begrüßungssekt vor der Kulisse der Elbphilharmonie anzustoßen, bevor es bei der Elbausfahrt einem traumhaften Sonnenuntergang entgegengeht.
Ein besonderes Erlebnis entlang der Elbe ist die Verabschiedung durch die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm Höft. Während die Nationalhymne des Heimatlandes gespielt wird – im Falle der MS Quest sind das die Färöer Inseln – wird die Hamburger Flagge gesenkt und das internationale Flaggensignal für „Gute Reise“ gehisst. Hier beginnt sie ganz offiziell, die Nordsee-Expedition.
Während wir langsam in Richtung Nordsee schippern, wird unter Deck das Abendessen serviert. Das englischsprachige Personal kümmert sich rührend um die etwa 40 Gäste, die auf dieser Fahrt an Bord sind. Jedes Dinner ist ein Dreigängemenü, bei dem ich aus verschiedenen Gerichten wählen kann. Das gleiche würde für das Mittagessen gelten, doch ist man tagsüber nur selten an Bord.
Tägliches „Skippers-Meeting“
Jeden Abend nach dem Essen trifft man sich in der Panoramalounge, um den folgenden Tag zu besprechen. „Die Ziele und Unternehmungen sind von Tour zu Tour unterschiedlich und hängen ab von der Tide und dem Wetter“, erklärt mir Kruse. Gemeinsam mit seinen Tourguides plant er für jeden Tag Unternehmungen in verschiedenen Schwierigkeitsgraden, aus denen die Teilnehmer wählen können. Es folgt für gewöhnlich ein Fachvortrag, der einen auf den kommenden Tag vorbereitet.
Am darauffolgenden Morgen werden wir vor Helgoland wach. Für die meisten an Bord ist es der erste „richtige“ Tag des Ausflugs, für mich bereits der letzte, bevor ich tags darauf in List wieder aussteige. Mit entsprechender Wehmut starte ich mein vorletztes Frühstück an Bord. Kaum habe ich anschließend aber mein Zodiac betreten, sind die trüben Gedanken auch schon wie weggeblasen.
Die Zodiacs: Motorisiertes Schlauchboot-Adrenalin
Die Zodiacs sind motorisierte Schlauchboote, mit denen wir zu den Inseln und Halligen überführt werden. Auf ihnen kralle ich mich bei jeder Fahrt in die Halteseile, hin- und hergerissen zwischen euphorischen Adrenalinschüben und leichten Angstzuständen. Dass ich dabei permanent eine teure Kamera in der Hand halte, die sich bei einer falschen Handbewegung in die tiefen der Nordsee verabschieden könnte, macht die Fahrt für mich nicht leichter – trübt den Fahrspaß aber kein bisschen.
Unser erstes Ziel: Helgoland
Helgoland, die erste Insel, die Expeditionstouristen in der Nordsee erkunden, gehört zum Pflichtprogramm und bietet auf seiner kleinen Fläche unglaublich viel Natur und Artenvielfalt. Unser Vormittag gehört der Düne vor Helgoland. Die kleine, vorgelagerte Insel besteht aus kaum mehr als dem Dünenhafen, jeder Menge Strand – und dem Helgoländer Flughafen. Zwischen den Inseln pendeln die Börteboote, die uns und unsere Führerin Damaris vom Verein Jordsand trockenen Fußes auf die Düne und zurückbringen. Das könnten zwar auch die Zodiacs, aber das wäre eben nicht das originale Helgoland-Feeling.
Auf der Düne erwartet uns der erste etwas längere Marsch einmal um die Insel herum – quasi als Einstimmung auf die deutlich längeren Wanderungen der Folgetage. Unterwegs lernen wir die Natur Helgolands kennen und erfahren, woran wir die am Strand liegenden Kegelrobben und Seehunde voneinander unterscheiden können: Seehunde sind deutlich kleiner und haben einen eher rundlichen Kopf mit einer hundeähnlichen Schnauze. Die Kegelrobben sind größer – immerhin sind sie das größte in freier Wildbahn vorkommende Raubtier in ganz Deutschland. Sie haben einen eher kegelförmigen Kopf, der ihnen ihren Namen verliehen hat.
Einige Stunden und ein exklusives Mittagessen an einem abgesperrten Bereich des Helgoländer Hafens später machen wir uns auf den Weg ins Oberland der Helgoländer Hauptinsel. Je näher wir Helgolands Wahrzeichen, der Felsennadel „Lange Anna“ aus rotem Buntsandstein kommen, desto lauter wird es um uns. Grund sind die vielen Vögel, die sich auf dem Lummenfelsen tummeln, dem mit 1,1 Hektar kleinsten Naturschutzgebiet Schleswig-Holsteins. Trottellumme, Basstölpel, Eissturmvogel und Tordalk sind dort zu beobachten – und deutschlandweit nur dort. Die Helgoländer Klippen sind der einzige deutsche Brutplatz für diese Vogelarten.
Viele Eindrücke und Erlebnisse für einen ersten Tag auf See, über die sich die Gäste beim anschließenden Grillfest an Deck der MS Quest unterhalten. Die Krönung des Tages: Eine Zodiacfahrt zur Langen Anna bei Sonnenuntergang – ein Farbenspiel, das mir vor Augen führt, wie viel Glück wir doch mit dem Wetter haben.
Tag Zwei auf Sylt
Zwei weitere, nicht minder lange und eindrucksvolle Tage folgen auf den ersten. Auf Sylt geht es unter fachkundiger Anleitung unserer Führerin Mandy in einer dreistündigen Wanderung durch die Lister Heide bis zur Wanderdüne. Den Namen hat sie nicht von ungefähr – also die Düne. Als unbefestigte Sanddüne wandert sie durch den konstanten Westwind beständig in Richtung Ostküste. Uns zieht es wieder zum Hafen, wo uns noch eine Kutterfahrt mit Seetierfang erwartet. Anschließend geht es in den Inselsüden nach Hörnum zum Muschelessen.
Von Amrum nach Föhr
Tags darauf wartet mit der Wattwanderung von Amrum nach Föhr einer der interessantesten Ausflüge – aber auch einer der anstrengendsten. Je nach Tide kann man leicht vier Stunden unterwegs sein und nimmt dabei auch in Kauf, beim Durchwaten der Priele bis zum Bauchnabel nass zu werden. Dafür wird man mit einer unbeschreiblichen Weitsicht zwischen dem Inseltrio Sylt, Föhr und Amrum belohnt und vom Führer Karl unterwegs mit Fachwissen über das Wattenmeer versorgt.
Wieder zu Hause
Für die anderen an Bord geht es am Tag darauf wieder zurück in Richtung Hamburg. Ich selbst habe die Quest bereits in List verlassen – dort, wo ich meine Reise angetreten habe. Wie bei meiner ersten Fahrt mit der Quest verlasse ich das Schiff mit etwas Wehmut, denn während dieser intensiven Tage an Bord und in der Natur lernt man das Schiff, die Crew und auch die anderen Passagiere schnell auf einer sehr persönlichen Ebene kennen und erlebt zwischen all den großen Abenteuern gemeinsam noch unzählige kleine Geschichten. Wie die, als mich Reeder Sven Paulsen beinahe dazu brachte, mit voller Absicht ins Lister Hafenbecken zu springen…
…aber das ist eine andere Geschichte. Wer die Adler Expedition einmal selbst erleben möchte, findet alle weiteren Informationen unter www.adler-expedition.de.