Sylt ist ein besonderer Ort – um dort zu leben, zu arbeiten und Urlaub zu machen. Die einzigartige Natur und die Vielfalt an Angeboten sind aber auch ein besonders gutes Umfeld für Kinder und Jugendliche, um zu lernen und die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln.
Der Verein „Freie Bildung Sylt“ hat sich vor einem Jahr gegründet und möchte sich genau diese Möglichkeiten zu Nutze machen. Erstes Ziel der Initiative ist die Gründung einer „Freien Schule“. Naturschutzstationen, Bauernhöfe, Sport- und Freizeitangebote, Betriebe aus dem Handwerk und der Gastronomie sollen dann zu Lernorten werden für Schülerinnen und Schüler im Alter von sechs bis 16 Jahren.
Das Konzept ist jedoch keine Idee, die auf Sylt geboren wurde. Sie basiert auf der Arbeit des Bundesverbandes der Freien Alternativschulen e.V. (BFAS), in dem über 150 Freie Alternativschulen und Gründungsinitiativen in Deutschland zusammengeschlossen sind.
Individuelle Förderung und gemischte Altersstrukturen
Selbstständig und mit Freude zu lernen, um dann als verantwortungsbewusster, mündiger Mensch in das Erwachsenenleben entlassen zu werden ist das Prinzip, dass allen „Freien Schulen“ zugrunde liegt. Wie das pädagogische Konzept dann aussieht, das erst von der Schulbehörde abgesegnet werden muss, bevor es umgesetzt werden darf, ist jeder Einrichtung selbst überlassen.
„Es gibt Schulen, die sehr frei arbeiten. Da ist eigentlich nur Schulbeginn und Schulschluss geregelt. Und es gibt ‚Freie Schulen‘, die sich an einen engen Stundenplan halten“, erklärt Johanna Erken, Gründungsmitglied des Vereins. „Wir sind da mit unserem Konzept in der Mitte angesiedelt und haben uns nach vielen Gesprächen im Gründungsteam auf eine Mischung aus freier Arbeitszeit und gemeinsamer Projektarbeit geeinigt“, sagt sie nicht ohne Stolz. Schließlich gibt es auch immer wieder Initiativen, die schon in der Gründerphase scheitern, weil die Mitglieder sich nicht auf eine gemeinsame pädagogische Linie einigen können.
Die Idee, dass Frontalunterricht und streng durchgetaktete Stundenpläne nicht der Weisheit letzter Schluss sein können, wenn es darum geht, das Entwicklungspotenzial von Kindern und Jugendlichen zu wecken, wird auch von der Forschung bestätigt. Die Neurowissenschaft liefert dazu regelmäßig Erkenntnisse, wenn sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie das Gehirn arbeitet und wie das Lernen an sich leichter und effektiver gestaltet werden kann.„Jedes Kind hat seinen eigenen Rhythmus, eigene Interessen und ein individuelles Lerntempo“, erklärt Johanna Erken dazu. „Auf diese Dinge wollen wir gezielt eingehen und die angeborene Neugierde der Kinder nutzen.“ Daraus ergibt sich dann ein Schulalltag, der durch ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Lernformen wie Projekten, Lernvereinbarungen, Kursen und freiem Lernen geprägt ist.
Der althergebrachte Klassenverbund wird abgelöst von individueller Förderung und Gruppen mit gemischten Altersstrukturen. Auch das Selbstverständnis der Lehrkräfte ist hier eine andere. Sie begreifen sich als Lernbegleiter, Förderer und Unterstützer, die Schülerinnen und Schülern dabei helfen, selbst zu lernen.
Abschluss an einer Regelschule
Die Freiräume während der Schulzeit sind jedoch begrenzt, wenn es darum geht, den Abschluss zu machen. Auch für „Freie Schüler“ endet die schulische Laufbahn mit einer Prüfung. Wenn die eigene Schule diese nicht anbietet – und das ist aktuell bei vielen Alternativschulen noch der Fall – dann wird der Erste oder Mittlere Schulabschluss an einer Regelschule abgelegt.
Hier zeigt sich dann, dass das Konzept der „Freien Schulen“ tragfähig ist: Denn die Abschlussnoten sind in der Regel nicht schlechter als die der Schülerinnen und Schüler, die im traditionellen Schulsystem unterrichtet werden.
Nachdem das Gründungsteam auf Sylt sich auf ein pädagogisches Konzept geeignet hat, geht es jetzt nicht nur darum, Schülerinnen und Schüler und deren Eltern von dem Projekt zu überzeugen, sondern auch Geldgeber mit an Bord zu holen. Denn Bildung kostet Geld und der Verein möchte nicht nur Sprösslinge reicher Familien unterrichten. „Wir wollen kein Internat mit vierstelligen Schulgeldern errichten, sondern einen Lernort für die Sylter Kinder schaffen, der allen offensteht“, verspricht Mitbegründerin Maria Köhn.
Das monatliche Schulgeld soll bei 170 Euro liegen. Patenschaften und Vereinsspenden sollen zum Tragen kommen, wenn Familien sich diesen Betrag nicht leisten können. In den ersten zwei Jahren sind dies die einzigen Möglichkeiten für den Verein, sich zu finanzieren, denn staatliche Förderung kann erst ab dem dritten Jahr beantragt werden.
Geplanter Start im August 2023
Der Schulbetrieb soll mit 20 Kindern im Grundschulalter starten. Das Ziel soll letztlich sein, 80 Kinder und Jugendliche bis zur 10. Klasse zu unterrichten. Aktuell hofft der Verein, im August 2023 die Schule eröffnen zu können. Das hängt allerdings nicht nur davon ab, dass die Schulbehörde das Konzept genehmigt und genügend Schülerinnen und Schüler angemeldet werden.
Wie so oft auf Sylt ist auch für die „Freie Schule“ die größte Herausforderung, die richtigen Räumlichkeiten zu finden. Damit in die Suche nicht zuviel Zeit investiert wird, kann der Verein auch mit einer Übergangslösung leben. „So hätten wir Zeit, ein größeres Gebäude zu finden und gleichzeitig könnten wir den Schulbetrieb schon aufnehmen“, meint Johanna Erken.