Deutschlands nördlichste Weinberge
Wir sind neugierig und buchen online eine der regelmäßig angebotenen Weinerlebnistouren. Schließlich wollen wir wissen, was es mit diesem friesischen Wein so auf sich hat. Unsere Tour startet zu Fuß an der Bushaltestelle vor St. Severin in Keitum. Weinfreunde benötigen hier weder Wanderschuhe noch eine gute Kondition, denn die Weinberge sind überschaubar groß und nur minimal bergig. Unser Führer ist Nils Lackner. Der Sylter war früher Sommelier in der Sansibar und ist längst ein renommierter Weindozent. Er hat auf wirklich jede Frage zu Wein (und zu Sylt) eine Antwort.
Sympathisch und unkompliziert erweitert Nils unser Wissen über Wein und Sylt. Zum Beispiel erklärt er, warum und seit wann auf Sylt Wein angebaut werden darf. Und wieviel Grad Oechsle der Sylter Wein zu bieten hat. Beziehungsweise, was dieses Wort aus der Winzersprache überhaupt bedeutet: es ist eine Maßeinheit für das Mostgewicht und eins der Qualitätskriterien für Wein.
54° Nord
Wir lernen zunächst etwas über Superlative. Denn jeder Sylter Weinberg hat seine eigene kleine Attraktion. Beide Felder liegen ungefähr auf 54° nördlicher Breite. Das größere darf sich mit den Koordinaten 54°, 54 Minuten und 3 Sekunden nördlichster Weinberg Deutschlands nennen. Hier wird der Sölviin angebaut. Nur minimal südlicher, genau genommen bei 54° und 54 Minuten, liegt der Weinberg von Balthasar Ress. Dieser ist mit gerade mal 10 Meter über Normalnull der niedrigste Weinberg in diesem Land. Der Sölviin wird allerdings nur unwesentlich höher angebaut, auf 11 Meter über Normalnull.
Der Boden auf Sylt ist sandig – das ist eher suboptimal für den Anbau von Wein. Deshalb nutzen die zwei Weinfelder ehemalige Weideflächen als Grundlage. Der eher karge Boden wird dann nämlich durch eine Schicht aus Humus bedeckt. Diese gibt dem Rebstock ausreichend Nährstoffe und garantiert den ganz besonderen Inselwein.
Sonnentraube
Früher wurde mit den Rebsorten Rivaner bzw. Müller-Thurgau experimentiert. Für das sehr spezielle Klima ist allerdings die aktuell verwendete Sorte Solaris deutlich besser geeignet. Diese eher junge Rebsorte hat mehrere Vorteile. Sie ist pilzwiderstandsfähig und verträgt sowohl eine frische Brise als auch feuchte Luft. Zudem ist sie rund eine Woche früher reif für die Weinlese als andere Sorten und entgeht damit leichter herbstlichen Unwettern.
Der Name der Traube kommt vom Lateinischen “Sole” für Sonne. Und sie holt sich aus minimalem Sonnenlicht maximale Energie. Perfekt für eine Insel, zu der auch schon mal friesisches Schmuddelwetter gehört.
Sölviin und Sölring
Das kleine Weinfeld von Balthasar Ress gehört zum Weingut Ress aus dem Rheingau. Zwar ist die Bearbeitung des Sylter Abkömmlings recht aufwändig und damit teuer, dafür gehört er zum sonnenreichsten des gesamten Weinguts. Denn das Feld liegt sehr windgeschützt in einer Mulde und profitiert klimatisch vom nicht weit entfernten Wattenmeer.
Das Team von Balthasar Ress kommt alle zwei bis drei Monate auf die Insel zu ihrem nordischen Ableger. In kürzeren Zeitabständen überwacht außerdem ein Winzer den Zustand der Reben. Die Trauben werden im Oktober geerntet und auf der Insel gepresst, zum Keltern kommen sie dann ins Rheingau.
Der Sölviin ist vom größeren der beiden Sylter Weinberge. Die Betreiber sind eigentlich keine ursprünglichen Weinbauern, sondern Sylter mit Freude am Wein. Der Biowein wird komplett auf der Insel hergestellt. Da das Feld etwas höher liegt und weniger geschützt, helfen Planen gegen die nordische Brise.
Das Gras zwischen den Rebstöcken wurde anfangs von englischen Schafen gemäht. Dummerweise entwickelten diese irgendwann ein Gespür für die Leckereien des Lebens und verspeisten satt Gras lieber direkt die Trauben. Es verwundert nicht, dass die Weinbauern nun eine andere Lösung bevorzugen.
Probieren geht über studieren
Wir haben sehr viel über Wein im Allgemeinen und speziell über die Sylter Weine gelernt. Nun geht es zum praktischen Teil der Tour, die guten Tropfen werden verkostet. Mitten im Weinberg und ergänzt durch feine Snacks. Wir starten mit dem Sölviin und fachsimpeln munter drauf los über blumige Nasen und Aromen von Stachelbeere und Limette. Ähnlich läuft es mit dem Sölring von Balthasar Ress. Und sind uns einig: Beide Weine sind einfach lecker und schmecken irgendwie syltig.
Die Tour eignet sich übrigens für Weinkenner und absolute Laien gleichermaßen. Wer auf Sylt also mal etwas Besonderes erleben will, ist bei Nils in Keitum an der richtigen Adresse. Alle weiteren Tourtermine und weitere Infos findet man online.