„Die Idee dazu entstand schon vor geraumer Zeit“, erinnert sich Ingo Kühl. Seine Tagebücher gehen zurück bis ins Jahr 1976. „Mit den Jahren häuften sich immer mehr von ihnen an, und je mehr es wurden, desto mehr drängte sich der Gedanke auf, sie für eine Biografie zu verwenden. Mein 70. Geburtstag, den ich in diesem Jahr feierte, war dafür der passende Anlass.“
Insgesamt 1200 Tagebuchseiten in eine Form zu bringen, die veröffentlicht werden kann, verlangt vom Schriftsteller einiges ab. „Werner Irro kannte ich bereits von der Zusammenarbeit an seinem Buch, für das ich die Aquarelle geliefert habe.“ In dem Buch „Sylt literarisch“ hat der Autor von zahllosen Autoren Unmengen Texte mit Inselbezug zusammengetragen und in eine Anthologie zusammengeführt. Die richtige Voraussetzung, um auch mit den gesammelten Schriften des Malers klarzukommen.
„Für mich war das zunächst mal ein großer Vertrauensbeweis“, erzählt Irro. Mag Kühls Form der Niederschrift auch sehr faktenorientiert sein – was er gegessen hat, wen er getroffen hat, wie groß das Format eines Bildes ist – stehen in einem Tagebuch dennoch viele private Dinge. Seine Herangehensweise: Aus diesen Aufzeichnungen bestimmte Linien seines Lebenslaufes herausarbeiten. „Das ist sehr gut möglich, wenn man so viel Material hat. Ingo hat beispielsweise viele Reisen gemacht, die nicht zufällig sind. Die Südsee war ein wichtiger Punkt, die ist schon vorher in seinen Fantasien aufgetaucht, bevor er mit seiner Frau Annette dort hingereist ist.“
Drei Monate haben beide intensiv an dem Text gearbeitet, weitere drei Monate an dem Layout. Das Ergebnis: Eine klassische Biografie, angereichert mit unzensierten Ausschnitten aus dem Tagebuch und Texten von Kunsthistorikern, die sich über die Malerei von Ingo Kühl äußern – und selbstverständlich mit Bildern: Fotos aus dem Familienalbum und Gemälden. „Besonders berührend war für mich der Text von Sarah Kirsch“, sagt der Maler. Die 2013 verstorbene Schriftstellerin hatte ihm 1987 einen Brief geschrieben. „Es war damals eine sehr innige Beziehung zwischen uns, wir haben ja auch ein gemeinsames Buch verfasst. Dass wir ihren Brief abdrucken durften, ist für mich ein Highlight.“
Wie war es eigentlich, das erste Mal die eigene Biografie zu lesen? „Wir waren sehr gespannt – das ganze hätte ja auch komplett schiefgehen können. Aber als wir den ersten Teil bekommen und gelesen haben, waren wir unglaublich berührt. Werner schrieb, es muss eine innere Kraft in mir gewesen sein, die mich die Erfolgsleiter fast schon hochgetrieben hat. So habe ich mich nie gesehen. Ich dachte, ich wäre sie quasi hinaufgefallen.“ Auch Irro hat in der gemeinsamen Arbeit viel Neues erfahren: „Es war mir vorher nie bewusst, in welch einem Spannungsfeld zwischen Alltag und Kunstschaffen sich ein Maler befindet. Man kann sich nur künstlerisch betätigen, wenn man alles andere ausblendet. Mit so einem Menschen den Alltag zu teilen, der sich selbst in eine solche Blase begibt – was im Grunde ein sehr extremes, unsoziales Verhalten ist – ist für beide Seiten ein Kraftakt. Das finde ich bemerkenswert.“