Als Valeska Gert in den 50ern auf Sylt die Puppen tanzen ließ.
„Gäste sind wie Ziegen – sie werden gemolken und meckern.“ So begrüßte die Tänzerin und Gastwirtin Valeska Gert ihre Gäste vor über 70 Jahren im berühmt-berüchtigten Ziegenstall in Kampen.
Im Kampener Ziegenstall war der Name Programm.
Die Gäste saßen auf Heusäcken und Melkschemelchen, der Gin wurde auf kleinen Futterkrippen abgestellt, Heu lag verteilt auf dem gesamten Fußboden, die Wände waren bunt bemalt und voller Graffiti. Whisky, Gin und Henkell Trocken (für 54 Mark die Flasche) flossen in Strömen, die „weltbeste Gulaschsuppe“ war ein Klassiker des Hauses. Serviert von Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Kabarettisten, die gleichzeitig zum Unterhaltungsprogramm gehörten. Eine Atmosphäre irgendwo zwischen Kreuzberger Kiezkneipe und Studio 54. Ihr Motto „Zutritt nur für Verrückte“ fasst es wohl am besten zusammen.
Valeska Gert war eine Jahrhundertkünstlerin.
Sie revolutionierte den deutschen Tanz in den 20er Jahren, war Schauspielerin und drehte mit den großen Regisseuren der damaligen Zeit, wie Fellini, Fassbinder und Schlöndorff. In gutbürgerlichem Milieu im Berlin der 1910er Jahre aufgewachsen, erhielt sie eine klassische Tanzausbildung. Ihre Perfomances waren dabei genauso unkonventionell wie ihr Aussehen, das dem Schönheitsideal einer Tänzerin so gar nicht entsprach. Ihre „Grotesktänze“ machten sie zum skandalumwitterten Star, mit Gastspielen von Paris bis Moskau.
Als Jüdin nach 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt und als „entartet“ diffamiert, flüchtete sie in die USA. An ihre Erfolge aus Europa konnte sie dort nicht anknüpfen. Was also tun, wenn man mit seiner Kunst nicht ankommt? Einen eigenen Club eröffnen!
Mit der Beggar Bar schuf Valeska Gert eine Mischung aus Kabarett und Bar, bei der die Kellner Gedichte rezitierten, die Garderobiere Chansons zum Besten gab und die Inhaberin Tanzperformances hinlegte. Einer ihrer Kellner: Tennessee Williams. Die Beggar Bar war legendär und wurde zum Szenetreff, in dem sich alle Gesellschaftsschichten köstlich amüsierten.
Nach dem Krieg eröffnete Valeska Gert in Zürich das Café Valeska und ihr Küchenpersonal, in Berlin die Hexenküche. Einer ihrer Kellner: Klaus Kinski.
Und 1951 folgte dann Sylt
Valeska Gerts erster Ehemann fand in „einem kleinen primitiven Fischerdorf“ ein Sommerhaus für seine Frau. Weil sich Kampen zu der Zeit zu einem Künstlertreff entwickelte, fasste sie den Entschluss auch dort ein „Nachtlokal“ zu eröffnen: den Ziegenstall.
Wir wissen nicht, ob auch im Ziegenstall spätere Berühmtheiten kellnerten. Aber eines ist gewiss: dass es eine große Sause war – jeden Abend im Untergeschoss eines unscheinbaren Friesenhauses in Kampen. Das Gebäude existiert heute leider nicht mehr, aber Valeska Gert ist als legendäre Sylterin unvergessen. Ausstellungsstücke aus dem Ziegenstall sind auch im Sylt Museum zu sehen.
Fotos: Sylter Museen