Der Mitschnitt des Musikfestivals Kampen Jazz 2024 unter anderem mit Curtis Stigers, Dee Dee Bridgewater, Lee Ritenour und Dave Grusin.
„So etwas erlebt man in 100 Jahren nur ein einziges Mal.“ Einen Tag nach Kampen Jazz ist Organisator Dariush Mizani die Euphorie noch immer anzumerken. „So viele hochkarätige Jazzmusiker auf so kleinem Raum im Kaamp Hüs, nur wenige Meter entfernt vom Publikum, das bietet nicht einmal Las Vegas.“ – Moment mal, im Kaamp Hüs und nicht auf der Bühne im Strönwai?
Die Sonne scheint seit Tagen, kein Tropfen Regen ist in Sicht. Die Wettervorhersage für die kommende Woche sieht keine Änderung. Und mit jedem schwülwarmen Tag mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Hitzeperiode in einem Unwetter entladen wird. Zu diesem Zeitpunkt war Mizani noch zuversichtlich: „Wir haben das beim ersten Kampen Jazz auch erlebt und mussten einen Tag vor dem Festival kurzfristig eine Entscheidung treffen. Till Brönner und ich haben uns angesehen und gesagt, wir ziehen es durch.“ Wenige Stunden vor der Eröffnung teilte sich damals das Gewitter auf und zog in unterschiedliche Richtungen von Dannen.
Als Till Brönner am Freitagabend das Publikum zum fünften Kampen Jazz begrüßte, wusste noch niemand, dass man die Bühne wenige Stunden später schon würde abbauen müssen, nachdem die letzten Noten des ersten Tages verklungen waren. Mit ihrer unvergleichlichen Mischung aus Samba, Bossa Nova und Swing zog die zweifache Grammy-Preisträgerin Eliane Elias Trio die Zuschauer sofort in ihren Bann. Danach übernahm die Big Band der Bundeswehr das musikalische Kommando und brachte den Strönwai mit knackigen Bläsersätzen und mitreißenden Soli zum Kochen. Als Till Brönner mit seinem Flügelhorn einstieg, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr. Jeff Cascaro setzte mit souligen und funkigen Klängen einen musikalischen Schlusspunkt unter einen denkwürdigen ersten Tag bei Kampen Jazz 2023.
„Dann kam die amtliche Sturmwarnung“, erinnert sich Mizani, „und allen war klar, das Risiko können wir nicht eingehen.“ Die 300 Quadratmeter große Konzertbühne musste aus Sicherheitsgründen zurückgebaut werden. Zu improvisieren liegt Jazzmusikern im Blut, aber dass alle Interpreten des zweiten Tages sich sofort bereiterklärten, auch im wesentlich kleineren Kaamp Hüs aufzutreten, beeindruckte sogar Jazztrompeter und Mitinitiator Till Brönner: „Das ist der Geist, der Kampen Jazz so einmalig macht. Trotz der ernüchternden Nachricht haben alle nach einer Lösung gesucht. Eine Absage war nie ein Thema.“
Der Wermutstropfen dieser Alternative: Zusätzlich zu einer ganzen Big Band passen in das Kaamp Hüs aus Sicherheitsgründen nur noch rund 50 Gäste. Zwar wurden alle Türen zum Innenhof weit geöffnet, so dass die hunderten anwesenden Zuhörer das Konzert dort aus (fast) erster Reihe genießen konnten – dennoch war auch den Organisatoren im Vorfeld klar: Nicht alle, die in den Strönwai gepasst hätten, können auch am Kaamp Hüs live dabei sein.
Das Onlinemagazin Sylt24.TV erklärte sich darum bereit, die Veranstaltung kurzfristig per Livestream zu übertragen. Brönner: „Wir dachten uns, vielleicht liegt in dieser Herausforderung eine Chance. Wir übertragen ein Clubkonzert per Stream in alle Welt.“
Am Ende waren es fast 1500 Zuschauer, die gemeinsam mit den vor Ort Anwesenden miterlebten, wie Till Brönner mit seiner Band ein noch nie dagewesenes Konzertereignis musikalisch eröffnete: Der Jazztrompeter konzentriert sich ganz auf die Klänge seines Instruments und zeigte dem Publikum auf beeindruckende Weise, was er aus seiner Trompete herausholen kann. Immer wieder wird der musikalische Spielball an die Bandkollegen weitergereicht, sodass jeder Raum findet, sich solistisch in Erscheinung zu bringen, aber sich auch immer wieder in den Einklang des Ensembles zu integrieren. Zusammen mit dem fünffachen Echo-Preisträger Atrin Madani aus Berlin präsentierten sie Meilensteine des Jazz und nahmen die Zuhörer mit auf eine musikalische Reise.
Die Bigband der Bundeswehr füllte anschließend den Saal des Kaamp Hüs räumlich fast zur Hälfte, brachte es musikalisch aber fast zum Überlaufen. Gemeinsam mit Joja Wendt, der ebenso lässig wie virtuos wie in die Tasten des rot glänzenden Steinway haute, trieben sie Jazzfans Freudentränen in die Augen. Als später Jazzpianistin und Sängerin Diane Schuur die Bühne betrat, erhoben sich die Gäste schon vor der ersten Note aus Ehrerbietung vor der Jazzlegende von ihren Plätzen. Ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Schuur ist von Geburt an blind, hat aber ein absolutes Tonhöhengedächtnis und eine Stimme, die auch mit ihren fast 70 Jahren nicht an Kraft und Bandbreite verloren hat.
Den krönenden Abschluss machte Special Guest Tom Gaebel, der nicht nur Frank Sinatras Lieder, sondern auch dessen lässigen Swing auf die Bühne brachte. Von Brönner gab es dafür den Ritterschlag: „You are beyond Sinatra, my friend!“ Von humorvollen Stücken wie „That’s life“ über „Fly me to the moon“ bis zum Klassiker „New York, New York“ brachte der gebürtige Gelsenkirchener Sinatras Big-Band-Sounds mit einer mitreißenden Leichtigkeit auf die Bühne, die beim Publikum Begeisterungsstürme auslöste.
Aus der Herausforderung eine Chance machen, wie Till Brönner es ausdrückte – das haben die Organisatoren und alle Beteiligten am vergangenen Samstag in Windeseile geschafft. “Ein besonderer Dank gilt der Big Band der Bundeswehr, die nicht nur eine der besten Formationen weltweit ist, sondern ohne Gage gespielt hat. Zusammen mit unserer Spenden- und Sammelaktion beim Publikum sind so über 20,000 Euro zusammengekommen, die wir der Sylter Tafel spenden wollen.” Davon, dass das große Unwetter am Ende ausgeblieben war, redete tags darauf niemand. Nur davon, was für ein einzigartiges Event da im Kaamp Hüs stattgefunden hat. Und dass Kampener Gastronomen es dank des Livestreams zum Public Viewing Event in ihren Räumen machten. Und nicht zuletzt davon, dass die Verantwortlichen den Planungen für das kommende Jahr noch gelassener entgegenblicken können, weil sie wissen: Kampen Jazz hält nicht mal ein Unwetter auf.