Dem Krieg oder der Verfolgung entkommen, aussichtslose Lebens- und Arbeitsbedingungen hinter sich gelassen – so finden seit Jahren immer wieder und gerade jetzt viele Geflüchtete aus der Ukraine und auch Asylbewerber aus aller Herren Länder Zuflucht auf Sylt. Sie sind in Sicherheit und haben ein Dach über dem Kopf. Um aber wirklich in der neuen Heimat anzukommen, braucht es mehr: eine gute Verständigung und damit die Perspektive, sich eigenständig ein Leben aufbauen zu können.
Sprachkurse mit zwölf Ehrenamtlern
Die Sprachbarrieren zu überwinden, dabei unterstützt die Integrationshilfe Sylt. Seit der Vereinsgründung 2014 bietet sie mit ehrenamtlichen Sprachlehrern Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten an. Nach einer coronabedingten Unterbrechung ist der Unterricht vor knapp vier Wochen wieder gestartet. Gudrun Redlin, seit 2020 Vereinsvorsitzende berichtete auf der letzten Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses von der aktuellen Situation.
Seit ihrer Gründung 2014 unterstützt die Integrationshilfe Sylt Geflüchtete und Asylbewerber durch Sprachkurse und Hilfe in Alltagsdingen. Nachdem der Unterricht coronabedingt gestoppt werden musste, haben die – zurzeit zwölf ehrenamtlichen – Lehrer seit einigen Wochen ihre Arbeit wieder aufgenommen.
„In etwas abgespeckter Form, nämlich nur mit einer Gruppenstärke von je zwei Teilnehmern“, erklärte Gudrun Redlin. „Dadurch schaffen wir zwar weniger, doch der Unterricht ist viel intensiver und die Schüler entwickeln deutlich mehr Vertrauen.“ 23 Schülern, davon 18 aus der Ukraine und fünf Schüler anderer Nationen, können so momentan an drei Wochentagen grundlegende Deutschkenntnisse vermittelt werden, die im besten Falle Basis für anspruchsvollere Kurse der Volkshochschule und somit berufsrelevante Prüfungen sind.
Flüchtlinge zweier Klassen?
Weit mehr als 30 Menschen könnten den Sprachunterricht brauchen, doch es fehlen die entsprechenden Ehrenamtler, die vielleicht auch zweimal pro Woche als Lehrer zur Verfügung stünden. Neben dem Lehrermangel weist Gudrun Redlin auf eine weitere Sorge hin: „Es tut mir weh, dass längst nicht alle, zum Beispiel viele Afghanen, so aufgefangen werden wie die Ukrainer. Deren Unterstützernetzwerk ist – dankens- und bewundernswerterweise – sehr gut.“
Man solle sich aber davor hüten, Flüchtlinge in ein Zweiklassensystem einzuteilen. Arbeitsmigranten dürften nicht ins Hintertreffen geraten, denn auch bei ihnen bestünde ein großer Bedarf an sprachlicher Unterstützung, so Redlin. Deshalb habe die Integrationshilfe nach der Corona-Pause auch ehemalige Sprachschüler wieder angeschrieben, um sie nicht zu übergehen.
Gabriele Gotthardt, Leiterin des Amtes für Ordnung und Soziales, merkte an, den Eindruck von einer unterschiedlich gewichteten Unterstützung der Hilfesuchenden in der Bevölkerung wahrgenommen zu haben. Die Ausschussvorsitzende Ulrike Körbs versicherte der Versammlung: „Es mag der Eindruck einer Bevorzugung entstehen, aber ich kann die Bemühungen aller Beteiligten bestätigen, dass keine Unterschiede gemacht werden.“
Spenden wären willkommen
Dankbar zeigte sich Gudrun Redlin für den bewilligten Zuschuss aus dem „Ukraine-Topf“ vom Verein der Sylter Unternehmer, dem Hotel- und Gaststättenverband sowie dem Verein Gesucht-Gefunden-Sylt. Etwa 30 Lehrbücher konnten mit diesem Geld für den Sprachunterricht angeschafft werden.
Der Verein bekäme nur selten Spenden und verfüge sonst über keine Gelder. Die Miete für die Räumlichkeiten im Geschwister-Scholl-Weg 2 in Westerland, die sich die Integrationshilfe mit der Sylter Tafel teilt, zahlt die Gemeinde Sylt. Für Reinigung und Gartenpflege muss der 26 Mitglieder zählende Verein selbst aufkommen.
Alle Ehrenamtler arbeiten gänzlich ohne finanzielle Entschädigung. Gemeindevertreter Eberhard Eberle (SPD) würdigte diesen Einsatz: „Ihnen gilt meine Hochachtung – was Sie leisten, besonders auch an persönlicher Betreuung ist großartig.“
Auch Hilfe im Alltag
Tatsächlich geht die Arbeit der Integrationshilfe weit über das Angebot von Sprachunterricht hinaus. Insbesondere die Vorsitzende, die sich seit Jahrzehnten für ähnliche Belange einsetzt, steckt viel Zeit und persönliches Engagement in die Unterstützung der Hilfsbedürftigen. Sie und ihre Mitstreiterinnen haben immer ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte, hören Geschichten von auf der Flucht getrennten Familien, begleiten beim Besuch von Ämtern oder helfen bei der Wohnungssuche. Schaltet Gudrun Redlin ihr Telefon auch mal aus? Nicht wirklich. „Aber wenn mir jemand nach vielen Fragen einmal ein Erfolgserlebnis zurückmeldet – das freut mich natürlich sehr“, erzählt sie.
Spaß reicht als Qualifikation
Von ihrer Energie können sich gern jederzeit neue Helfer anstecken lassen. Zunächst sind weitere Lehrer herzlich willkommen, der Unterricht findet bislang Dienstag, Mittwoch und Donnerstag in der der Zeit von 16-18 Uhr statt.
Die Voraussetzungen sind nicht schwierig. „Im Grunde sollt man einfach Lust auf den Umgang mit Menschen haben und selbst der deutschen Sprache mächtig sein. Auch ich muss mich anfangs manchmal noch mit Händen und Füßen verständigen.“
Sprachen wie Farsi, Arabisch, Polnisch oder afrikanisches Englisch, teilweise einzelne Stammesdialekte können vor Herausforderungen stellen. „Aber wir nutzen eine Handy-Übersetzungs-App und Lehrbücher. Das ist eine gute Orientierungshilfe, darüber hinaus dürfen die Lehrer gern kreativ den Unterricht gestalten“, beruhigt sie.
Mitglied werden
Und es macht offensichtlich beiden Seiten Spaß: In den Kursen werde auch viel gelacht, etliche Schüler würden sich über den viel weniger strengen Unterricht als in ihrem Heimatland freuen. Anfangs begleiten bereits geübte Lehrer Interessenten gern, um sich einzuarbeiten.
Wer sich die Lehrtätigkeit nicht zutraut oder sie aus Zeitgründen nicht anbieten kann, für den ist vielleicht eine Mitgliedschaft im Verein der Integrationshilfe Sylt das Richtige – der Jahresbeitrag liegt bei nur 12 Euro.