Der Sitzungssaal im Westerländer Rathaus platzte gestern Abend aus allen Nähten. Bevor die Sitzung der Gemeindevertreter beginnen konnte, wurden immer wieder Stühle und Bänke hineingetragen, aber es reichte trotzdem nicht. Am Ende saßen die Zuhörer zum Teil auf dem Fußboden oder standen bei offener Tür bis auf den Flur. Die Art und Weise, wie die Politiker anschließend debattierten, fasste Bürgervorsteher Frank Zahel zusammen als „keine gute Werbung, um die Bürgerinnen und Bürger in die Sitzung zu locken.“
Mit 13:12 Stimmen für das Amtsmodell
Anlass für das große Interesse der Einwohner war der Antrag der Sylter Wählergemeinschaft (SWG), die den Beitritt der Gemeinde Sylt zum Amt Landschaft Sylt und die Bildung einer gemeinsamen Amtsverwaltung zum 1. Juli 2023 forderte. Am Ende der hitzigen Beratung wurde der Antrag zusammen mit den Stimmen der CDU mit 13 zu 12 Stimmen angenommen.
Keine Abstimmung über die Alternative
SPD, Bündnis90/Die Grünen, SSW, Die Insulaner und die Partei „Zukunft.“ hatten als Reaktion auf den Antrag eine eigene Beschlussfassung eingereicht, über die aber nicht mehr abgestimmt wurde. Nach Idee der fünf Fraktionen hätten die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger zur Kommunalwahl im kommenden Mai die Möglichkeit haben sollen, über einen Beitritt der Gemeinde zum Amt Landschaft Sylt oder eine Alternative abzustimmen.
Bis dahin sollte es Informationsveranstaltungen geben, „um die Vorteile und Nachteile eines Beitritts strukturiert aufzuzeigen und die Kosten zu berechnen“, wie es in dem von SPD-Politiker Gerd Nielsen vorgetragenen Antrag hieß. Zusätzlich wäre es in einem Workshop mit Experten um die zentrale Frage gegangen: Wie kann die Zusammenarbeit aller Gemeinden auf Sylt verbessert werden?
Arbeiten auf Augenhöhe
Die gestrige Sitzung war die Fortsetzung einer Diskussion, die bereits vor zwei Jahren im Zuge des Wahlkampfes um das Amt des Bürgermeisters geführt wurde. „Damals fühlten wir uns überfallen“, erklärte Mario Pennino auf der gestrigen Sitzung die damalige Ablehnung durch seine Partei. Zu kurzfristig sei das Thema aufgekommen. Warum sich die anderen Parteien und Bürger in der aktuellen Debatte nicht genauso fühlen sollten, konnte der SWG-Fraktionsvorsitzende auf der gestrigen Sitzung allerdings nicht deutlich machen.
Seit der Fusion im Jahr 2009 habe man sich in der politischen Diskussion auseinanderdividiert, so Pennino. In den letzten Jahren habe das noch zugenommen: „Wir bekommen keine Einigkeit mehr hin.“ Der Beitritt der Gemeinde Sylt zum Amt Landschaft Sylt würde nach seiner Überzeugung eine konstruktive Arbeit auf Augenhöhe ermöglichen.
Gemeinsam etwas schaffen
Als einzige Partei habe die SWG das Ziel einer Inselfusion – eine Aussage, die für Kopfschütteln bei allen anderen Parteien sorgte. Mit dem „Konstrukt“ des Amtsmodells sei man zwar „weit von dieser Fusion weg“ so Pennino. Aber so könne man die „Fahrt verlangsamen und korrigieren“, um wieder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.
Auch CDU-Fraktionsvorsitzender Oliver Ewald versuchte die Position seiner Partei damit zu begründen, dass es besser sei, „gemeinsam etwas zu schaffen“. Im Vergleich etwa zur Bürgermeister-Dienstversammlung, in der alle Inselgemeinden hinter verschlossenen Türen an einem Tisch sitzen, würde man mit dem Amtsmodell „öffentlicher und transparenter“ arbeiten.
Stimmen gegen das Modell
Schon bevor der Tagesordnungspunkt von den Politikern behandelt wurde, hatten sich einige Anwesende während der Einwohnerfragestunde zu Wort gemeldet und sich gegen den Antrag der SWG ausgesprochen. Die Standesbeamtin Beate Lück erklärte stellvertretend für viele Kollegen, dass man „erstmal die aktuellen Probleme lösen solle“. Auch Ute Häßler versuchte den Politikern von CDU und SWG „ins Gewissen zu reden“. Sie erinnerte daran, dass sie im Vertrauen darauf gewählt worden seien, für die Bürger Verantwortung zu übernehmen und fragte sich, ob die Zukunft der Insel durch das Amtsmodell besser aufgestellt sei. Eine weitere Zuhörerin zeigte sich fassungslos, schließlich habe man Bürgermeister Nikolas Häckel vor zwei Jahren gewählt, damit dieser seine Aufgaben als Verwaltungschef wahrnehmen könne, was mit dem Amtsmodell allerdings nicht mehr möglich sei.
Denn Teil des geplanten Modells soll ein Ausschuss sein, dessen Mitglieder aus den Gemeindevertretungen entsendet werden, also nicht direkt gewählt werden sollen. Holger Weirup von der SPD erklärte, dass dies kein geeignetes Instrument sei, um die Insel zu einen. „Wir würden die Verwaltung aufblähen und müssen dann auch über erhöhte Personalkosten sprechen.“
„Bürgerfern und demokratiefremd“
Zudem könne der Ausschuss aufgrund der eigenen Satzung nur fünf übergeordnete Themen beraten. Die von der SWG angeführte Bauleitplanung würde aber auch im Amtsmodell bei den Gemeinden bleiben. Die Zusammensetzung der Themen könne des Weiteren von jeder Gemeinde nach eigenem Ermessen verändert werden. „Ich halte das für bürgerfern und demokratiefremd“, so Weirup.
Dr. Roland Klockenhoff von Bündnis90/Die Grünen störte sich daran, dass so ein weitreichender Beschluss ausschließlich mündlich in der Sitzung „blumig formuliert“ von der SWG vorgetragen wurde und man weitere Informationen nur aus der Zeitung erhalten habe. Auch seine Partei hält den Ausschuss für ein undemokratisches Gremium. „Wir sehen die Probleme auf der Insel, aber das Amtsmodell nicht als Lösung.“
Zwei Parteien entscheiden
Markus Gieppner von den Insulanern wollte Mario Pennino am liebsten „respektvoll die Ohren langziehen“, für die Art und Weise, wie die SWG jetzt den Antrag eingebracht hat. Für ihn wäre der alternative Vorschlag „charmant“ gewesen und die Entscheidung hätte nicht von einer Zwei-Parteien-Mehrheit abgehangen, wie es jetzt der Fall sei. Eigentlich hätte man zu einer Lösung kommen sollen, die zumindest von drei Vierteln der Bevölkerung getragen werde, so Gieppner.
Gerd Nielsen erinnerte daran, dass während der Diskussion vor zwei Jahren Experten zu dem Thema gehört worden seien – Niebülls damaliger Bürgermeister Wilfried Bockholt und Herbert Lorenzen, der ehemalige Amtsdirektor des Amtes Eiderstedt. Beide hätten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit dem Amtsmodell davon abgeraten, es auf der Insel zu installieren. „Was wir brauchen, ist keine weitere Verwaltung, sondern ein politisches Gremium mit entsprechenden Befugnissen.“
„Es gibt insulare Zusammenarbeit.“
Zudem widersprach er der Darstellung der SWG, dass es keine funktionierende insulare Zusammenarbeit auf der Insel gebe. Als Gegenbeispiele nannte er den Schulverband, den Landschaftszweckverband oder den Zweckverband Inselgemeinschaft Flugplatz Sylt.
Bürgermeister Nikolas Häckel erklärte, dass das Amtsmodell nicht das Problem löse, dass die Politik nicht miteinander spreche. Mit ihm werde der „klare Bürgerwille vom Tisch gewischt.“ Aktuell stehe die Verwaltung im Zentrum von fünf Gemeinden und fünf Verbänden, die alle an ihr ziehen würden. „Das muss aufhören“, so Häckel.
Kommt jetzt ein Bürgerbegehren?
Lars Schmidt von der Partei Zukunft. führte verfassungsrechtliche Bedenken ins Feld, wonach das Amtsmodell und der dazugehörige Ausschuss laut Expertenmeinung „rechtlich grenzwertig“ sei. Zudem erwarte er jetzt ein Bürgerbegehren, das sich klar gegen das jetzt geplante Vorgehen von SWG und CDU aussprechen werde.
Auch wenn CDU und SWG versuchten, mit Überzeugung ihre Argumente vorzutragen, war sich zumindest Oliver Ewald bewusst, dass ihr Plan in der Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung stoßen könnte. Mit Blick auf die Kommunalwahl erklärte er: „Wenn der Bürger alles scheiße findet, was wir gerade machen, werden wir unsere Strafe kriegen.“