Klimaschutz und Tourismus – zwei Dinge, die auf den ersten Blick nur schwer miteinander vereinbar sind. Laut der Studie eines Forscherteams von der University of Sydney soll der weltweite Tourismus für rund acht Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sein.
Gerade eine touristische Destination wie Sylt bringt das in die Zwickmühle: So ist der Tourismus stark von einer intakten Natur abhängig, lässt sich aber nie ganz ohne negative Folgen für dieselbe betreiben. Wir haben mit Sylter Touristikern über die Vereinbarkeit des Tourismus mit dem Klimaschutz gesprochen.
Unbestritten ist unter allen Befragten, dass der Tourismus auf Sylt nicht ohne nachhaltigen Umgang mit der Natur auskommt: „Wir leben mitten im Weltnaturerbe Wattenmeer“, sagt dazu Raphael Ipsen, zweiter Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Sylt (DeHoGa). „Heide, Dünen, Strände – all dies macht Sylt aus und muss darum auch geschützt werden.“
Maiken Neubauer, Kurdirektorin in List auf Sylt, sieht das ebenso: „Ganz abgesehen von der Gefahr durch einen steigenden Meeresspiegel sind wir mit unserem Sommertourismus vom Klima abhängig.“ Auch Kampens Tourismusdirektorin Birgit Friese meint: „Wir stehen in der Pflicht, im Rahmen der Möglichkeiten auf sanften Tourismus umzustellen.“
Für Peter Douven, Geschäftsführer des Insel Sylt Tourismus Service (ISTS) ist es kein Wunder, dass Touristiker so denken: „Im Tourismus ist es eine ganz natürliche Reaktion, nachhaltig mit den Ressourcen umzugehen. Das beginnt schon aus der Klassifizierung als Seeheilbad heraus. Wir bekommen bestimmte Luft- und Wasserqualitäten auferlegt und haben beispielsweise im Syltness-Center strengere Auflagen als in manch einer Klinik. Das sensibilisiert für das ganze Thema.“
Diese Sensibilität schlägt sich auch in den Meinungen zum Status Quo in Sachen Klimaschutz auf Sylt nieder. Vielen Sylter Touristikern geht der Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit nicht schnell genug, auch wenn die Ansätze im Grunde für gut befunden werden: „Wir beschäftigen uns immer mehr mit dem Thema Umweltschutz“, sagt Moritz Luft, Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH (SMG).
„Ob es die Plastik Crew des Westerländer Schulzentrums ist, die mit verschiedenen Aktionen gegen die Verschmutzung der Weltmeere ankämpft oder die Initiative ‚Bye Bye Plastik‘, die Sylter Betriebe dazu verpflichtet, auf bestimmte Sorten Einwegplastik zu verzichten.“
Für ISTS-Chef Peter Douven hat besonders die Umstellung auf energiesparende Beleuchtung die Insel vorangebracht: „Die Initiative ‚LED Island Sylt‘ in Kooperation mit Philips Lightning hat zu einer Menge Spontaneffekten geführt und wir wissen, dass ein Großteil der Vermieter bereits auf LED umgestellt hat. Bei etwa 60000 Betten auf Sylt ist das eine Größenordnung, die durchaus ins Gewicht fällt.“
„Sylt zählt zumindest nicht zu den schwarzen Schafen der Tourismusbranche wie die Kreuzfahrtschiffe oder der Fernreisetourismus“, meint Wenningstedts Tourismus-Chef Henning Sieverts. „Nichtsdestotrotz ist gerade das Anreisethema aufgrund der wenig attraktiven Bahnanbindungen aktuell nur bedingt geeignet, dem Gast hier eine interessante, klimafreundlichere Alternative empfehlen zu können.“
Für Peter Douven ist die Bahn ohnehin keine wirklich saubere Alternative: „Ganz abgesehen von den dreckigen Dieselloks auf der Marschbahnstrecke bezieht die Bahn ihre Energie zum großen Teil aus fossilen Energien. Da kann keiner sagen, die Bahn sei per se ein sauberer Verkehrsträger zur Anreise.“ Neben dem ISTS leitet Douven als Geschäftsführer auch den Flughafen Sylt und ärgert sich, dass die Anreise mit dem Flugzeug häufig zu Unrecht in der Kritik stehe: „Wenn man sich kundig macht, wer in Deutschland die Hauptverursacher für Kohlendioxid sind, kommt man nach dem Energieerzeugungsbereich auf den innerdeutschen Gesamtverkehr mit 16 Prozent. Die innerdeutsche Luftfahrt bewegt sich hochgerechnet auf die Gesamtbelastung in Bruchteilen eines Prozents.“
Maiken Neubauer lobt als Listerin besonders das Engagement der Syltfähre für eine nachhaltige Anreise: „Besonders mit der zweiten Fähre, die einen umweltfreundlichen, weil emissionsärmeren LNG-Motor hat, der mit verflüssigtem Erdgas betrieben wird. Zusätzlich gibt es Elektroladesäulen auf den Fähren als Anreiz, mit dem Elektroauto anzureisen.“
Auf der Insel angekommen, sollte der Gast sein Auto möglichst stehen lassen und auf Fahrrad, E-Mobility oder den Bus zurückgreifen, so der Tenor unter den Touristikern. „Das setzt allerdings voraus, dass ich eine transparente Grundlage habe, welche alternativen Fortbewegungsmittel ich wo und wann nutzen kann“, wirft Moritz Luft ein. „Dieses smarte Mobilitätsangebot gilt es, weiter auszubauen.“ Die Gemeinde Wenningstedt-Braderup hat darum gerade mit der Sylter Verkehrsgesellschaft ein Modellprojekt gestartet, um Gästen das Busfahren ohne Zusatzkosten anbieten zu können.
Raphael Ipsen glaubt nicht an den vollständigen Verzicht auf das Auto, „aber man kann den Verkehr durch Leitsysteme und kurze Wege so grün wie möglich machen.“ Außerdem sieht er in der Elektromobilität eine gute Alternative: „Die Sylter Verkehrsbetriebe sind mit ihren Elektrobussen ein echtes Leuchtturmprojekt in diesem Bereich.“
Auch Peter Douven sieht die Insel im Bereich E-Mobility ganz weit vorn: „Wir hatten schon 2014 eine erste Kooperation mit VW in diesem Bereich, als das Thema noch in den Kinderschuhen steckte. Das war der Start für unser heutiges E-Mobility-Center.“ Fahrräder, E-Bikes, E-Roller und Elektroautos: Über die Plattform von Daimler-Benz lässt sich heute für jeden Bedarf das passende, umweltfreundliche Fahrzeug mieten.
Und die nächsten Herausforderungen? „Das Thema Wasser“, antwortet Moritz Luft spontan. „Das wird derzeit mit hohem Aufwand in Flaschen aus der Ferne über den Damm auf die Insel transportiert – dabei haben wir hier eine Trinkwasserqualität, mit der wir sogar touristisch sehr gut werben könnten.“ Für Henning Sieverts besteht die Herausforderung darin, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die etwas bewegen und nicht nur bloßer Aktionismus sind: „Die konsequente Vermeidung von Einweg-Plastik bei Veranstaltungen, E-Fahrzeuge in unserem Fuhrpark und der Umstieg auf erneuerbare Energien.“
In Hotel- und Gastronomiebetrieben könne immer nur so weit auf Nachhaltigkeit geachtet werden, wie es die Vorschriften zulassen, erklärt Raphael Ipsen: „In Küchen wird man durch Lebensmittelhygieneverordnungen nie ganz auf Plastik verzichten können. Aber zumindest Vorgaben in den Hotelklassifizierungen, wie einzeln verpackte Shampoos auf den Zimmern oder das tägliche Waschen von Handtüchern, nehmen immer mehr ab.“
Also sind Tourismus und Klimaschutz auf lange Sicht doch vereinbar? Alle Touristiker beantworten diese Frage mit einem Ja, das aber oft an Bedingungen geknüpft ist: „Wenn wir unser Engagement einfach zugänglich und leicht umsetzbar gestalten, ohne den großen Zeigefinger zu heben“, so Moritz Luft. „Und wenn wir es alle im täglichen Handeln umsetzen und beispielsweise einen wiederverwendbaren To-Go-Becher auch mal wieder abgeben, anstatt ihn im Auto oder zu Hause zu stapeln.“
Außerdem steht für ihn auch die soziale Komponente auf der To-Do-Liste für einen nachhaltigen Tourismus, „um Mitarbeiter zu gewinnen, sie halten zu können und eine Lebensqualität aufrecht zu erhalten, die im Einklang mit dem touristischen Aufkommen ist.“
Maiken Neubauer ist der Meinung, es müsste viel mehr klimafreundliche Kooperationen geben und eine transparentere Zertifizierung, „die beispielsweise zeigt, ob Restaurants Produkte aus der Region verwenden.“ Für Henning Sieverts bietet der Urlaubsaufenthalt auch die Chance, „einmal abseits vom Alltagsstress neues, klimafreundlicheres Verhalten auszuprobieren und in den Alltag zu übernehmen.
Ein einfaches Beispiel ist der Gast, der im Urlaub erstmals ein E-Bike ausprobiert und das Auto zukünftig für die ein oder andere Strecke stehen lässt.“ Birgit Friese glaubt an eine Vereinbarkeit von Klimaschutz und Tourismus, wenn „die Politik die nötige Infrastruktur schafft, damit das Fahrrad auf der Insel das beliebteste Fortbewegungsmittel wird und für Anreize sorgt, auf Plastik zu verzichten.“
Dann aber, so Sylts Touristiker, bietet der Klimaschutz auch eine Chance für den Tourismus. Henning Sieverts: „Wer dieser Entwicklung Rechnung trägt und in seinem Einflussbereich entsprechend klimafreundlich handelt und dies auch dem Gast gegenüber kommuniziert, tut nicht nur etwas Gutes für den Klimaschutz, sondern hat auch ein Differenzierungsmerkmal, das die Chance bietet, vom Gast auch wirtschaftlich honoriert zu werden.“