Alte Liebe rostet nicht – das gilt ganz offensichtlich auch für die Hassliebe zwischen Sylt und dem Punk. Schon in den Achtzigern besang Deutschlands wohl berühmteste Punkband „Die Ärzte“ ihren Sehnsuchtsort: „Ich will zurück nach Westerland.“ Wie es sich anfühlt, wenn sich ganze Punkermassen diesen Wunsch erfüllen, weiß die Insel spätestens seit den „Chaostagen“ im März 1995.
Neun-Euro-Ticket als Auslöser
Das Neun-Euro-Ticket und die in den Medien hochgekochte Diskussion um dessen Auswirkungen auf den Sylter Tourismus hat diese alte Sehnsucht ganz offensichtlich wieder geweckt: Rund 150 Punker fanden sich am Pfingstwochenende auf Sylt ein und verbrachten die meiste Zeit – man könnte sagen, traditionell – an der Wilhelmine in Westerland.
Was ist dran an den Medienberichten?
„Sylt wird von Punkern überrannt“ oder „Punks stürmen Sylt“ – was sich in den überregionalen Medien liest, wie die letzten Tage einer Insel, die im Fackelschein von Molotowcocktails und in einer Flut von Backsteinen untergeht, wird von der Lokalpresse relativiert, in der lediglich von „Pissen, Pöbeln und Party“ zu lesen ist. Pöbeln und sich prügeln, in die Ecke pissen und knapp daneben übernachten – ist das wirklich die Quintessenz des Punkseins? Wohlgemerkt: Nicht alle, die derzeit mit Nietenjacken und bunten Haaren auf Sylt unterwegs sind, benehmen sich so. Aber sind diejenigen, die sich so verhalten, wirklich Punker – oder nur asoziale Penner?

Punk als Jugendkultur
Der Punk selbst ist -zusammen mit der gleichnamigen Musikrichtung – als Jugendkultur Mitte der 1970er Jahre in New York und London entstanden. Charakteristisch ist das Aussehen der Punks: Bunte Haare, Irokesenschnitt, Nietenjacke und Piercings – „Nasenringe aus Phosphor“, wenn man der Neue-Deutsche-Welle-Band Extrabreit glauben schenken darf. Viel wichtiger noch als das provozierende Aussehen ist aber die politische Ansicht der Punks, die sich gegen alle Konventionen stellen, gegen das Bürgertum und gegen jede staatliche Hierarchie und Autorität.
Anarchie!
Wo immer Punks sind, ist auch das A im Kreis nicht weit: Es steht für den Anarchismus, das Fehlen jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen – Hierarchien, die als Unterdrückung von Freiheit abgelehnt werden. Innerhalb dieses Grundgedankens gibt es verschiedene Strömungen, die von der Selbstverwirklichung in Freiheit und Selbstbestimmung über die Ablehnung von Konsum und Kapitalismus bis hin zur Auflösung jeglicher staatlichen Organisiertheit reichen können. Individuelle Freiheit steht über dem Wohl der Gesellschaft.
Kein Freibrief zum Danebenbenehmen
Dies mag von dem einen oder anderen Vertreter dieser Subkultur als Freibrief gesehen werden, sich anderen gegenüber zu verhalten, wie es ihm gerade passt. So gemeint ist es indes keineswegs: Errico Malatesta, italienischer Anarchist des 19. Jahrhunderts (ja, so alt ist die Anarchie bereits) drückte es aus wie folgt: „Anarchie bedeutet Gewaltlosigkeit, bedeutet Nicht-Herrschaft des Menschen über den Menschen, Nicht-Zwang durch die Gewalt des Willens eines oder mehrerer über den der anderen.“
Ungehorsam? Ja, aber gewaltlos.
So mag sich der gewaltlose, zivile Ungehorsam durchaus als Mittel eignen, das anarchistische Gedankengut durchzusetzen – es hört aber eben dort auf, wo andere durch unprovozierte Gewalt unterdrückt werden. Malatesta: „Die wahre anarchistische Gewalt hört auf, wo die Notwendigkeit der Verteidigung und der Befreiung aufhört.“
Der kleine Unterschied
Wer also ein „ordentlicher“ Punk sein will, meidet Geld als Inbegriff des Kapitalismus (ja, dazu gehört auch erbetteltes Geld), steht ohne Gewalt ein für die individuelle Freiheit jedes einzelnen und sucht sich kreative Wege, seiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen. Obdachlos, faul und unnütz sind echte Punks hingegen ganz und gar nicht – dieses Bild wurde lediglich von Menschen geschaffen, die eine ganze Jugendkultur als Ausrede dafür missbraucht haben, um sich daneben zu benehmen.