Das Kammermusikfest Sylt startet diesen Sommer in seine neue Festivaldekade mit dem Titel „Nordlichter“.
Nur ein Musiker mit Cello auf der Bühne, vor einem Publikum, das förmlich den Atem anhielt, um keine Nuance der leisen, und dabei so eindringlichen Töne zu verpassen – man hätte ein Stecknadel fallen hören können, als Claude Frochaux das Konzert des Kammermusikfest Sylt am Ostersonntag in der St. Nicolai-Kirche mit seinem fantastischen Solo eröffnete. Der künstlerische Leiter dieser jährlichen Sylter Veranstaltungsreihe mit klassischer Musik lebte jede Note, sein Spiel von ganz reduzierten Tonfolgen hin zu schnellen, wie aufrührerischen Läufen schuf einen fesselnden Spannungsbogen.
Perfekt spiegelte sich so in der Musik gleich zu Beginn das Thema des Konzertes – es stand unter dem Motto „Freiheit“ in all ihren Facetten – wider.
Ebenso vollendet in seiner Virtuosität schloss sich Frochaux dann das Ensemble mit weiteren fünf exzellenten Musikern an: Hugo Ticciati intonierte auf der Violine regelrecht waghalsige Passagen, die einem vertonten Kampf um Freiheit gleichkamen. Im meisterlichen Zusammenspiel von Priya Mitchell an der Violine und Natacha Kudritskaya am Flügel schwangen Melancholie wie auch zuversichtlicher Übermut mit. Beinahe unwirkliche Töne, eher empfunden denn gehört, entlockte Jordi Carrasco Hjelm seinem Kontrabass, während Meghan Cassidy auf der Bratsche mit leise anschwellenden Tönen das Bild erwachender Frühlingsblüte zauberte.
Solo wie gemeinsam zeigte das Ensemble ein großartiges musikalisches Können und die phänomenale Bandbreite jedes einzelnen Instrumentes, setzte die Kompositionen von Pablo Casals über Béla Bartók bis zu Giovanni Sollima Bartok mal aggressiv, mal schmeichelnd, mal wehmütig, mal frohlockend um und machte den ersten Teil des Konzertes zu einer hörbaren Eroberung der Freiheit. Dieser Energie hätte sich im bildlichen Sinne nichts in den Weg stellen können. Da wollte man als Zuhörer vor Begeisterung gleichzeitig jubeln und weinen!
Wer jetzt bedauerte, dass die Musik schon verklungen war, freute sich umso mehr über den zweiten Teil, der mit einer ganz wunderbaren Darbietung des beschwingten Forellenquintetts von Franz Schubert das Publikum musikalisch berauschte: Dank des feinsinnigen Einsatzes aller Instrumente sah man vor seinem inneren Auge silbrige Fischschwärme durch ihr Element gleiten, die Sonne auf dem Wasser glitzern und eilige wie gemächliche Wellen über Steine am Bachufer fließen. Sorgenfrei und quicklebendig konnte sich der Zuhörer in diesem Moment fühlen – eine weitere Facette von Freiheit, die die Musiker durch ihr Spiel geschaffen hatten.
Nach diesem grandiosen Auftakt lässt sich ein Besuch der Konzerte, mit denen das Kammermusikfest Sylt wieder vom 22. bis 27. Juli eine Woche lang zur kulturellen Vielfalt des Sommers auf der Insel beiträgt, noch einmal mehr empfehlen! Sicher werden Claude Frochaux und Malte Ruths, Organisator dieses besonderen Klassik-Festivals, wieder viele musikalische Hochgenüsse geplant haben. Alle Infos finden sich auf www.kmfsylt.de.