Dass man mit dem Auto nicht betrunken auf den Autozug fahren darf, liegt nahe. Dass es aber - betrunken oder nicht - auch nicht erlaubt ist, den Autozug ohne Auto zu nutzen, hat gestern ein 38-jähriger Mann in Klanxbüll zu spüren bekommen.
Als es früher mit dem Auto vom Festland zurück auf die Insel ging, hoffte ich als Kind immer, dass wir den Autozug knapp verpassen würden. Schon nach dem Abbiegen von der A 7 auf die B 199 schaute ich ständig auf die Uhr am Armaturenbrett und versuchte abzuschätzen, wann wir die Autoverladung in Niebüll erreichen würden. Hatten wir den Zug dann tatsächlich knapp verpasst und mussten den Wagen im Wartebereich abstellen, war das für mich ein gutes Zeichen. Schließlich war so noch genügend Zeit, um zum Imbiss zu laufen und sich eine Portion Pommes mit Ketchup und Mayo zu holen.
Solche Gedanken waren den Verantwortlichen der Reichsbahn natürlich fremd, als sie 1932 dafür sorgten, dass Autos erstmals mit dem Zug über den Hindenburgdamm transportiert wurden – fünf Jahre nachdem er vom Namensgeber und damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg eingeweiht und für den Personen- und Güterverkehr eröffnet worden war. Anfangs wurden die Fahrzeuge noch als Fracht in normale Güterwaggons verladen. Erst 1951 nahmen die ersten speziellen Autozüge, die über eine Rampe befahren werden konnten, den Betrieb auf. Zehn Jahre später wechselte die Bahn dann auf „doppelstöckige Autotransportwagen“, wie die Waggons offiziell heißen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden.
Die Zahlen von damals sind mit denen von heute kaum noch zu vergleichen. Wurden zu Ostern 1957 beispielsweise insgesamt 450 Fahrzeuge auf die Insel gebracht, kann ein einzelner Autozug heutzutage bis zu 175 Autos transportieren. Zu Beginn steuerten die deutlich kürzeren Züge die Insel nur vier Mal am Tag an, heutzutage passiert das bis zu 19-mal täglich.
Nachdem die Deutsche Bahn als Nachfolgerin der Reichsbahn mit dem roten Sylt Shuttle lange Zeit einzige Betreiberin auf der 39 Kilometer langen Strecke zwischen Niebüll und Westerland war, gibt es seit 2016 mit dem blauen Autozug von RDC einen weiteren Anbieter für Fahrten von und auf die Insel.
Sylt ist zwar auch mit dem Flugzeug und der Autofähre zu erreichen, aber der Autozug ist und bleibt das am häufigsten genutzte Verkehrsmittel zwischen der Insel und dem Festland. Was nicht unbedingt gleichbedeutend ist mit dem Beliebtesten. Denn in der Hochsaison sorgt der Abreiseverkehr rund um das Terminal regelmäßig für verstopfte Straßen in Westerland und Tinnum. In der Vergangenheit kam daher immer mal wieder der Vorschlag auf, die Bahngleise durch eine Straße zu ersetzen.
Wirklich intensiv wurde diese Diskussion allerdings nie geführt. Denn abgesehen davon, dass die Deutsche Bahn als Eigentümerin des Damms damit den profitabelsten Abschnitt in ihrem gesamten Streckennetz aufgeben müsste, wird durch den Autozug die Zahl der Fahrzeuge auf Sylt zumindest ein klein wenig begrenzt. Eine Straße zum Festland würde an einem strahlenden Sommertag wahrscheinlich auf der gesamten Insel zu einem Verkehrschaos führen. Und ein Schlagbaum am Anfang des Damms, um die Insel notfalls für Fahrzeuge zu sperren, widerspricht dann doch der gelebten nordfriesischen Gastfreundlichkeit auf der Insel.
Und so bleibt die Fahrt mit dem Autozug auf absehbare Zeit ein kleines Abenteuer. Die Rampe hinaufzufahren, um dann auf den Zug zu wechseln ist doch ein Fahrmanöver, was einem im normalen Straßenverkehr eher selten begegnet. Und wer nicht auf sein Glück vertrauen möchte und darauf hofft, auf dem oberen Deck mitzufahren, der montiert vorher die Antenne ab. Schließlich würde das Fahren auf der unteren Ebene ansonsten von einem lauten Rattern begleitet, wenn die Antenne bis zum Erreichen des Stellplatzes am oberen Deck entlang streift. Wo jedes einzelne Auto genau steht, bestimmt der Bahnmitarbeiter, der seelenruhig jedes Auto so dicht an den Vordermann heranwinkt, dass die meisten Fahrzeugführer schon weit früher stehen geblieben wären. Und wenn sich der Autozug mit einem leichten Ruckeln in Bewegung setzt, dauert es nur gut 35 Minuten, um mal mehr, mal wenige geschaukelt, über den Damm transportiert zu werden.