Signe Jungersted präsentierte zwar weder einen Zehn-Punkte-Plan, den man nur abarbeiten muss, noch eine Formel, mit der man die Lösung berechnen kann. Aber die dänische Tourismusmarketing-Expertin hat mit ihrem Vortrag „How can tourism contribute to local public welfare in the future?“ (zu Deutsch: Wie kann Tourismus zur kommunalen Wohlfahrt beitragen?) am Mittwoch, 22. September, im Kursaal³ die Zuhörer dennoch beeindruckt mit ihren Ideen gegen den weltweit überbordenden Tourismus.
Im Rahmen der Sylter Nachhaltigkeitstage hatte die Sylter Marketing GmbH in Person von Dennis Bullen die Expertin für den Vortrag in Wenningstedt gewinnen können. Leider waren nur rund 40 Zuhörer der Einladung gefolgt. Vielleicht lag es daran, dass die Dänin auf Englisch gesprochen hat. Bei dem vieldiskutierten Thema sollte man meinen, dass sie problemlos das Congress Centrum hätte füllen können. Immerhin ist die Frage, wie die Zukunft des Tourismus auf der Insel aussehen könnte, derzeit in aller Munde.
Man läuft der Entwicklung hinterher
Spätestens seit im Mai dieses Jahres das Beherbergungskonzept im Bauausschuss der Gemeinde Sylt vorgestellt wurde, haben die Insulaner die Gewissheit, dass der Tourismus auf Sylt ein gesundes Maß längst überschritten hat. Die schon vorher geführte Diskussion erschöpft sich bisher in der einhelligen Meinung, dass es so nicht weiter gehen kann.
Signe Jungersted ist im Jahr 2017 in ihrer Branche mit einer Analyse des Tourismus in Kopenhagen bekannt geworden. Auch wenn die unter dem Titel „Das Ende des Tourismus“ gesammelten Erkenntnisse nicht Eins zu Eins auf Sylt übertragbar sind, so gibt es doch Punkte, die allgemein Gültigkeit besitzen – nicht nur in der dänischen Hauptstadt oder auf Sylt, sondern überall da, wo Tourismus dazu geführt hat, dass die Einwohner der jeweiligen Regionen sich dort nicht mehr wohlfühlen. Am Ende dieser Entwicklung steht der sogenannte Overtourismus, dem man nun hinterherläuft und versucht, durch verschiedene Maßnahmen wieder einzudämmen, so Signe Jungerstedt in ihrer Analyse.

Einwohner im Mittelpunkt
Mittlerweile sei man in der Tourismusbranche überzeugt davon, erklärte Jungersted, dass ein guter Ort zum Leben auch ein guter Ort ist, um ihn als Gast zu besuchen. Damit werden also die Einheimischen in das Zentrum der künftigen Überlegungen gerückt. Ein Ansatz, den auch die Sylt Marketing GmbH inzwischen verfolgt – nur wer sich in seiner Heimat wohlfühlt, kann auch als Gastgeber entsprechend positiv auftreten.
„Tourismus bedeutet wirtschaftliches Wachstum und Jobs, aber er muss ausbalanciert werden“, so Jungersted. Dabei muss sich jeder Ort die Frage stellen, in welcher Stimmung er sich seinen Gästen präsentieren und welche Zielgruppe er damit ansprechen möchte. Macht man es etwa wie die Stadt Amsterdam, die vor Corona jegliches Marketing eingestellt hat, in der Hoffnung, weniger Touristen anzulocken? Oder geht man einen Weg wie die Faröer Inseln, die unter dem Titel „Wegen Wartung geschlossen“ die Insel für ein paar Tage im Jahr nur für eine ausgewählte Anzahl an Gästen öffnet, die zusammen mit den Einheimischen Pflegemaßnahmen auf der Insel durchführen? Einen anderen Weg ist die Stadt Nantes gegangen, die ihren gesamten Marketing-Etat in ein jährliches Kunstfestival investiert.
Niemand möchte der Böse sein
Auch das sind zwar alles keine Beispiele, die sich so ohne weiteres auf die Insel übertragen lassen, aber sie zeigen, dass es durchaus kreative Lösungsmöglichkeiten gibt, ohne als vermeintlich schlechter Gastgeber dazustehen, weil man versucht, der Masse an Touristen Herr zu werden. „Denn niemand möchte am Ende als der Böse dastehen“, so Jungersted.
Was kann man auf Sylt tun?
Im Anschluss an den Vortrag konnten die Zuhörer Fragen stellen. Viele nutzten dies dazu, sich bei der Referentin für ihre Präsentation zu bedanken und die eigenen Gedanken zu sortieren. Während die einen sich fragten, wie man die wichtigsten Erkenntnisse des Abends auf der Insel anwenden kann – „Wir haben auf Sylt so viele Themen zu bearbeiten, ich wüsste gar nicht, wo man anfangen müsste“ – erhofften sich andere eine Aufbruchstimmung, die von dieser Veranstaltung ausgehen möge, um bei diesem Thema auch auf der Insel voranzukommen.
Besonders interessant für Sylt könnte ein Projekt aus Barcelona sein. Hier hat sich ein Gremium mit Entscheidern zusammengefunden, die einmal im Monat darüber sprechen, was in puncto Tourismus in der Stadt passieren soll. Das klingt zwar nicht sonderlich spektakulär, würde aber wahrscheinlich genau dort anknüpfen, wo sich die Insel gerade erst noch befindet: Auf der Suche nach einer konstruktiven Form der Kommunikation, die alle mitnimmt – Entscheider, Einwohner und Gäste. Auch wenn die Aufgabe groß ist, kann der Anfang dann ganz einfach sein. Signe Jungersted: „Alles beginnt mit einem Gespräch.“