Denn überall dort, wo sie darauf angewiesen ist, dass sich jemand engagiert, ohne danach zu fragen, was für sie oder ihn persönlich dabei rausspringt, gibt es immer weniger Menschen, die dazu bereit sind. In der (kommunalen) Politik spiegelt sich das in zwei Phänomenen wider, die schon seit geraumer Zeit existieren.
Niedrige Wahlbeteiligung und „alte, weiße Männer“
Einerseits bewegt sich die Wahlbeteiligung auf einem konstant niedrigen Level, weil Menschen oftmals der Meinung sind, dass die Politik nichts für sie tun kann. Und diejenigen, die sich engagieren, stammen meist aus der Gruppe der „alten, weißen Männer“, wie es gestern einer der Gemeindevertreter formulierte, der selbst dazugehört.
Die Zahlen dazu sind eindeutig: Bei der letzten Kommunalwahl haben nur 42 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme abgegeben und die Gemeindevertretung etwa besteht zurzeit aus 5 Frauen und 24 Männern, die meisten von ihnen deutlich älter als 50 Jahre.
Das System ist das Problem
Was von jedem Einzelnen und jeder Einzelnen dabei in den Gremien der Sylter Politik geleistet wird, steht außer Frage. Wer selbst nicht dabei ist, kann sich kaum ein Bild davon machen, mit welchem persönlichen Aufwand diese Tätigkeit verbunden ist.
Es geht auch nicht um die Leistung eines einzelnen Lokalpolitikers oder wie gut dieser oder jener Ausschuss arbeitet. Sondern es geht um die gesamte Struktur und die Rahmenbedingungen, in denen Kommunalpolitik aktuell stattfindet. Und in diesem Zusammenhang wurde auf der gestrigen Gemeindevertretersitzung die Chance vertan, einen neuen Impuls zu setzen und mal etwas Neues auszuprobieren.
Innovation bedeutet Versuch und Irrtum
Überall wird gefordert, Lösungen zu finden – am besten noch innovative. Innovative Lösungen finden – was steckt eigentlich in dieser kurzen Aussage. Innovation ist nicht die perfekte Lösung, die einem plötzlich vor die Füße fällt. Sie ist gekennzeichnet von Versuch und Irrtum. Sie ist gekennzeichnet davon, Wege zu beschreiten, die man vorher noch nicht kannte. Manchmal führen sie in die falsche Richtung, manchmal auch in eine Sackgasse. Aber am Ende hat man die Strecke zurückgelegt, die ins Ziel geführt hat.
Und auch zum schlichten „Lösungen finden“ gehört, dass man sie vorher gesucht haben muss. Jetzt zu sagen, man unterstütze das Projekt nicht, weil man Unwägbarkeiten vermutet, greift zu kurz. Bürgerräte sind keine starren Systeme, die nur nach festgelegten Spielregeln funktionieren. Sie werden professionell moderiert und den Gegebenheiten angepasst.
Spannende Entwicklung verpasst
Vielleicht hätte man in fünf Jahren sagen können: „Wir haben damals als Bürgerrat nach dem LOSLAND-Prinzip angefangen, aber mittlerweile hat sich daraus ein ganz anderes Gremium entwickelt, das Sylt und dessen besonderen Bedürfnissen gerecht wird und wertvolle Beiträge zur Politik auf der Insel leistet.“ Es wäre spannend gewesen, diese Entwicklung zu verfolgen. Chance vertan.
Die Aussage, die gestern von Vertretern verschiedener Fraktionen getätigt wurde, es gebe genügend Möglichkeiten sich zu engagieren, ist wertlos, weil die Bürger sie wenig bis gar nicht nutzen und das schon seit einiger Zeit. Viele Menschen wollen sich langfristig nicht engagieren, weil sie nicht sofort einen Sinn in ihrer Tätigkeit erkennen oder es mit dem eigenen Beruf oder anderen Verpflichtungen nicht in Einklang bringen können.
Jeder Einzelne ist ein Gewinn
Die Beteiligung an einem Bürgerrat beschränkt sich im Rahmen eines konkreten Themas zumeist auf wenige Sitzungen am Wochenende. Das Wissen darüber und das gemeinsame Arbeiten auf ein konkretes Ergebnis hin könnte Menschen dazu bewegen, sich zu engagieren.
Und wer einmal selbst erlebt hat, dass es doch Sinn machen kann, politisch aktiv zu werden, der überlegt sich auch, ob er oder sie es vielleicht auch mal in einer Partei versucht. Nicht jeder wird das tun. Aber jeder Einzelne, der es tut, ist ein Gewinn für die Gesellschaft. Wie sich das auf Sylt darstellen würde, werden wir jetzt nie erfahren. Chance vertan.