Wohl kaum ein Ehrenamt ist über die Jahre so kontrovers diskutiert worden, wie das des Seehundjägers. Sie mussten sich vorwerfen lassen, eine „Abschussprämie“ zu kassieren, mussten sich gegen Anzeigen verteidigen. Allein die Bezeichnung „Jäger“ ist für viele negativ besetzt. Sie stammt noch aus Zeiten, als der Seehund tatsächlich bejagt werden durfte. Was aber 1974 ein Ende hatte, nur der Begriff ist geblieben.
Tiere nicht leiden lassen
Heutzutage dient das Amt allein der Wildtierhege – zur Waffe greifen Thomas Diedrichsen und Sönke Lorenzen sowie ihre Sylter Kollegen Florian Kröger und Rolf Lorenzen nur bei aussichtslos erkrankten Tieren, um sie von ihrem Leiden zu erlösen. Bis zu zehnmal täglich rücken sie von Oktober bis Januar inselweit aus, wenn typischerweise die meisten gestrandeten Seehunde gemeldet werden. Die Jungtiere sind dann mittlerweile vom Muttertier entwöhnt und allein auf Nahrungssuche.
Handeln sie sich über die Aufnahme von Fisch etwa einen Befall mit dem Lungenwurm ein, magern die mangelernährten Robben schnell ab und landen so entkräftet auf dem Strand. „Wir finden Tiere mit einem Gewicht von gerade mal 15 Kilogramm – rund zehn Kilo mehr sollten sie in dem Alter eigentlich auf die Waage bringen“, erklärt Sönke Lorenzen.
Anrufen, statt anfassen
Wenn man als Spaziergänger am Strand über einen Seehund quasi „stolpert“, ist deshalb Abstand geboten. In den allermeisten Fällen sind die Tiere krank, sonst würden sie aus eigener Kraft wieder ins Meer gelangen können. Die vernünftigste Hilfe ist ein Anruf bei der Seehundstation Friedrichskoog, von wo aus die Seehundjäger der Insel informiert werden. „Wenn man sich nicht sicher ist, wie es um den Seehund bestellt ist, schaut man einfach auf dem Rückweg wieder nach, ob das Tier immer noch hilflos daliegt“, rät Thomas Diedrichsen. „Dann kann man uns kontaktieren.“
Falsch verstandene Tierliebe
Ab und zu erleben die Seehundjäger bei ihrer Ankunft am Strand diese wenig wünschenswerte Szene: Ein besorgter Urlauber hat den gestrandeten Seehund beschützend auf dem Arm. Das ist nett gemeint, aber so kann man sich leicht Krankheiten einfangen. So wies Sönke Lorenzen eine Dame in eben jener Situation einmal darauf hin: „Durch die Viren kann es zu multiplem Organversagen kommen.“ Ihr teilnahmsvolles „ach, das arme Tier“ kommentierte er trocken: „Nein, bei Ihnen!“ Auch durch einen ordentlichen Biss wurde schon manch einer davon überzeugt, dass es nicht ratsam ist, den Wildtieren zu nahe zu kommen.
Umfassende Zusatzausbildung
Für den richtigen Umgang mit den Tieren und die qualifizierte Einschätzung ihres Zustandes absolvieren die Seehundjäger eine umfangreiche Zusatzausbildung. Einerseits auf der Seehundstation mit lebenden Tieren, und außerdem beim Büsumer Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW), wo ihnen die Krankheitsbilder anhand toter Exemplare vermittelt werden. Zusätzlich besitzen Lorenzen und Diedrichsen – neben dem Jagdschein natürlich – den Bootsführerschein.
Vorwürfe ungerechtfertigt
Viel Mühe, um sich dann teilweise von Tierfreunden vorwerfen lassen zu müssen, die Seehundjäger würden die Tiere einfach nur für die „Abschussprämie“ erschießen. Gemeint ist die Aufwandsentschädigung von 45 Euro pro eingesammeltem Tier, die die Versicherungen und manchmal gerade so den Spritverbrauch abdeckt, wenn die gerufenen Seehundjäger nicht selten mehrmals täglich die Insel in ganzer Länge abfahren. „Wir nehmen jeden Seehund mit, prüfen erst seinen Zustand und hören seine Atmung ab“, erklärt Thomas Diedrichsen. Spaß am Schuss, mit dem er die Tiere notwendigerweise erlösen muss, hat der Waidmann sicher nicht.
“Danach war Ruhe”
Ein zentimeterdicker Ordner mit Pressemitteilungen, die Thomas Diedrichsen über die Jahre gesammelt hat, zeugt davon, wie oft seine Tätigkeit und die seiner Kollegen im Fokus des öffentlichen Interesses stand und steht, wie viel Pro und Kontra sie erfährt. Applaus am Strand und manch anerkennendes Schulterklopfen erlebten sie ebenso wie böse Artikel in den Medien. „Einen Journalisten, der nachdrücklich und mit vorwurfsvollen Worten am Krankheitsgrad der Tiere zweifelte, habe ich zur Sektion des befallenen Seehundes eingeladen. Danach war Ruhe“, erinnert sich Diedrichsen.
Die schönen Seiten
Erfreulicherweise gehört nicht nur die Bergung erkrankter oder toter Seehunde, Kegelrobben und Schweinswale zu den Aufgaben der Seehundjäger. In der Wurfzeit während der frühen Sommermonate können etliche gestrandete Heuler in die Seehundstation in Friedrichskoog überstellt, dort wieder aufgepeppelt und anschließend ausgewildert werden. Außerdem haben die Seehundjäger bereits dreimal die Spitze des Ellenbogens als Ruhezone für die Tiere abgesperrt – mit großer Resonanz. Hier konnten dann auch Spaziergänger die gesunden Meerestiere in freier Wildbahn beobachten, ohne sie zu stören.